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Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1900, Seite 1
Archivalie
Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1900, Seite 1
Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1900, Seite 1

Archivalie

Absender*in (1868 - 1926)
Empfänger*in (1861 - 1915)
Datierung1900
BeschreibungTranskription:

Berlin. W. Steglitzer-Str. 51
10.7.1900.
Liebes Fräulein Eck!
Ihre freundlichen Zeilen sollten
schon längst beantwortet werden.
Bis jetzt war ich aber meist noch
ein fleißiger Mensch und schob
liebe Pflichten auf. Nun ich aber
wieder neue Arbeit bekommen
habe, will ich Ihnen doch vor der
Inangriffnahme schreiben, daß Sie
keineswegs vergessen sind. Ich freue
mich, Günstiges von Ihnen zu hören.
Von uns hier kann ich Ihnen auch
Gutes erzählen. Noch bin ich mit all
meinen Lieben beisammen. Nächste

Woche lichtet es sich aber auch schon, und
Clärchen, die älteste Schwester geht nach
Lößnitz bei Dresden. Unser Ernstchen
Georgy hat schon zweimal den Wander-
vogel gespielt. Sie war im Mai zwei Wochen
in Paris. Herr R.Bong hatte sie dorthin
verpflichtet, damit sie die Eindrücke der
Berliner Range über die Weltausstellung
festhielte.Sie ist sehr entzückt heimgekehrt
und ihr lustiges Buch ist nach kaum
zwei Wochen fertig geworden. Kaum
war sie frei, so drang eine alte Freundin
darauf, sie ein Weilchen mit nach Oberhof
in Thüringen zu bekommen. Die kleine,
komische Range ist wirklich ein so unfassbar
gutlauniger Mensch, daß jeder sich ihrer
Gesellschaft freut. Jetzt sind gerade zwei ihrer
neuen Bücher heraus: Jugendstürme bei
Eckstein, und die Range – neue Bekenntnisse

bei Bong.Ich weiß nicht, ob es schwesterliche
Verblendung ist, aber thatsächlich gefällt
mir die Range als Backfisch hervorragend.
Ich glaube sie wird sich damit das Herz
der Jugend erobern. Die "Range über die
Berliner Dienstboten" und die "R. über
Paris" erscheint auch bald. Ich sollte,
liebes Fräulein, übrigens von Ernstchen
vielmals grüßen. Wir amüsieren uns
auch noch in Gedanken an Ihren letzten
Empfang bei uns. Ist Ihr dortiger
Frauenklub schon eröffnet? Bei uns hier
ist er augenblicklich schwach besucht.Viele
sind schon verreist. Ich komme täglich vorbei
und daher öfter hinaus. Frl. Dr. Gebser,
die beiden Frls. Botmer sieht man jetzt
häufiger. Ich bin immer sehr gern oben.
Die ganze Atmosphäre ist mir höchst sym-
pathisch. Wir haben ein schönes, großes
Blumenstilleben von Frl. Lehnert

geschenkt bekommen. Ihre – in
& Malt" habe ich schon gesucht & nicht
gefunden. Bei Nicolei im Schaufenster
hängt die "Jungfräulich Frau". Ich werde
vorläufig in Berlin bleiben und denke Anfang
September auf einige Wochen nach Italien zu
ziehen. Dort will ich viel Kunst genießen. Davon
kann ich größere Portionen verdauen. Vielleicht
reisen auch Mama und Ernstchen mit mir, es ist
aber auch möglich, daß sie etwas später
reisen. Wann kommen denn die Eifel-
Novellen? Im August erscheint die Malerinnen
Nummer der Modernen Kunst. Wir werden
noch eine zweite folgen lassen. Das Stoffgebiet
ist doch sehr ergiebig. Über "Late works of
Menzel" für Magazine of Art und Fritz
von Schennis habe ich außer den Künstle-
rinnen Aufträge auszuführen. So nebenbei
lese ich jetzt den Staat von Plato, der mich trotz
aller dialektischen Sophistik sehr interessiert.
Ich höre Dr. Steiner etc. wollen literarischen Klub
gründen. Vielleicht bringt uns das im nächsten
Winter zusammen. Bleiben Sie recht gesund,

liebes Fräulein. Ich wünsche Ihnen die glücklichsten Inspirationen
Fortsetzung auf Seite 1:
und einen in jeder Beziehung angenehmen Sommer. Empehlen Sie
mich all Ihren Lieben. Sie begrüßt herzlich Ihre
Anna Michaelson – Jessen.

KlassifikationArchivalie
Anzahl/Art/Umfang1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
ObjektnummerHHI.2016.G.1001.356