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Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1906, Seite 1
Archivalie
Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1906, Seite 1
Brief von Jarno Jessen an Miriam Eck, 1906, Seite 1

Archivalie

Absender*in (1868 - 1926)
Empfänger*in (1861 - 1915)
Datierung1906
BeschreibungTranskription:

Berlin. W.
51 Steglitzerstr. 14/3.06
J Sie sind eine Wunderliche,
Saltana, liebste Peregrina!
So stark hat es mir die endliche
gründliche Lektüre Ihres neuen Buches
angethan, daß die Pflicht Ihnen zu
schreiben – über Peregrina zu schreiben –
seit Tagen wie ein Alp auf meiner
Seele liegt. Wenn man aber so wie
ich nach Ihrem Ausspruch = Birmantum(?) =
treibt, ist es manches Mal als ob das
sollte sein, die Sache in Einem gänzlich
abgelöst ist. Man rollt sein Tage-
werk ab, man denkt, treibt ---, daß
über allem Fremden das Selbst nicht zu
existieren scheint. Das ist vielleicht der
Fundamental-Unterschied zwischen uns
Beiden, daß Sie diesem Selbst so ganz

leben. Momentan, und daß es bei mir be-
ständig wie in ewigen Prokrustes-Prozessen,
gezwungen war, sich nach den Formen einzu-
richten, die ihm die unbeugsamen Umstände
diktierten. Trotzdem ich meine Seele aus
diesem Purgatorium doch noch vernünftiger
hervorgegangen. Es geht nicht ohne ein
ab, wenn man als "nützliches
Nein" mit hineingebaut werden will, in
den Wunderbau – das Leben! Sie aber,
liebste Peregrina, haben sich nicht behauen
lassen – Sie sind in Ihrer Form verblieben.
Nicht zum Heile Ihres Lebensglücks –
aber jedenfalls zum Heil Ihrer Kunst!
Es ist mir nach dem Studium Ihres
neuen Werkes sehr klar geworden, daß
Sie mich – und gewiß auch nach den ganzen
feinfühliger Sachen – so magnetisch
festhalten konnten, weil Sie das
ganz Eigene gaben, weil da kaum noch

da oder dorthin die Parallelen möglich sind.
Ihr Peregrinabuch muß besessen werden; denn
seine intimsten Schönheiten erblühen Einem
langsam & immer reicher bei liebevollem
Vertiefen. Von ganzem Herzen gratuliere
ich Ihnen zu dieser Dichtung Liebste! Ich
konnte Ihnen nicht Richtiges sagen, als
ich nur so einen Teil der ersten Hälfte
gelesen hatte. Das Schönste beginnt für mich
erst als sich Peregrina in ihrem innersten
selbst enthüllt. Solange sie das volle Leben
einzunehmen trachtet, ist mit das ---
gesagt, aber die Stärke liegt in ihrem Dichten,
in ihrer dichterischen Fülle & naiven Schönheit.
Gradezu bezaubernd finde ich das Freiheitliche,
und manche anderen realistischen,
und gefühlsschönen Episoden. Auch sprachlich
finde ich, haben Sie sich abgeklärt & durch
Ihre Eigenart nun eine flüssigere
Form bekommen. Ich hoffe sehr, Peregrina

wird nun eine sanfte Siegerin die Herzen erobern.
Gestern beim Thea, bei Frau Professor Bötticher,
wurden Sie so sehr verständnisvoll gelobt.
Heut hat sich eine Dame den Namen notiert &
wird das Buch lesen. Der Verleger Hofmann
(Verlag der "Geistesfachen") sagte mir vor
einigen Tagen, wie sehr ihm die feine ? .
in den Preußischen Tagebüchern aufgefallen sei.
Sehr glücklich war ich über die Wirkung auf
Schwester Gretchen. Als ich gestern nach Haus
kam, hatte sie soeben die Lektüre bemerkt &
Ihnen sofort den Brief geschrieben, die Sie auf
dem kleinen .. erhalten. Sehen Sie
mein Ernst Georgy ist ein so hochbegabter
Mensch, so selten socialseitig.(?) Ich freue mich
so sehr, Ihnen diese Freue mit bereiten zu
können; denn aus Erfahrung wissen wir, wie
wohl das Bedürfnis anderer, besonders der
Fachgenossen dem Herzen thut. Ganz und herzlich
verdienen Sie den Beifall der Verständnis-
vollen! Erzählen möchte ich Ihnen sonst

noch Vieles. Diesen ganzen Winter habe ich
außer Hilligenlei & jetzt Peregrina & eben
in der Vossischen Zeitung fortlaufenden
Roman nichts Belletristisches gelesen. Es
war alles Wissenschaftliches – Kunst!
Im Lyceum Klub waren ein paar in-
teressante Vorträge – seit 14 Tagen
konnte ich nicht hingehen. Ich fühle mich
dort sehr wohl & hoffe, es wird sich gut
entwickeln. Mit Korrecturen bin ich ganz
verquält. Der "Praerafaelismus" in
der Muther Serie ist jetzt heraus, nun
nehmen die Byron Briefe so viel Zeit &
nähern sich ihrem Ende. Ich denke im
Mai od. Juni wieder nach England zu
gehen. Dieses Spezialfach fordert große
Opfer an Kraft, aber es ist doch notwendig.
Bei den Schriftstellerinnen ? etc.
waren wir nicht. Frau Bubalke &

Schulze, Brück sah ich im Lauf der Zeit
ein paar Mal & sprach sie meist oberflächlich.
Kunstausstellungen & interessantes gibt
es grade jetzt wie Brombeeren in Berlin.
Ein anderes Mal sage ich Ihnen mehr
davon. Heute mußte nur der Perlgrün(?)
Brief fort, obgleich es schon Abend ist
und ich den ganzen Tag angestrengt
war. Für Ihr liebes Bild danke
ich noch herzlich, aber meine
Poetessa gefällt mir besser. Sie
hat sich zum Tintenbübchen verwandeln
lassen. Wann kommen Sie her? Wir
freuen uns auf Sie & wollen Sie bald
hier haben. Ich bleibe Ihre
sehr getreue Harmonia
KlassifikationArchivalie
Anzahl/Art/Umfang1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
ObjektnummerHHI.2016.G.1001.359