Skip to main content
Schriftstellernachlässe
Korrespondenz von Börries von Münchhausen an Carl Enders
Schriftstellernachlässe
Schriftstellernachlässe

Korrespondenz von Börries von Münchhausen an Carl Enders

Absender*in (DE, 1874 - 1945)
Empfänger*in (DE, 1877 - 1963)
Datierung1914-1917
BeschreibungBeilage: 1 masch. Dg., Bonn, 3.3.1914 - Carl Enders an Börries von Münchhausen

o. O., den 27.2.1914:

Sehr geehrter Herr Doktor,
Ihr Referat geht mir eben von meinem Verleger zu, und ich habe höflichst und herzlichst für die Mühe zu danken, die Sie sich mit mir gemacht haben. Ganz gewiss haben Sie in unendlich vielen Punkten völlig recht und grade in den absprechenden Urteilen stehe ich, wie wohl jeder ehrliche Kerl und Künstler, oft noch viel absprechender den Versen gegenüber als Sie.
Immerhin bedaure ich doch, die Korrekturbögen nicht gesehen zu haben. Fast alle Zahlangaben sind falsch. (z. B. Lebensjahre meines Vaters, Zahl meiner Geschwister) sehr viele Namen (z. B. der meiner Frau, der meines Vetters - nicht Bruders!) und einige tatsächliche Versehen hätt ich leicht berichtigen können. Z. B. habe ich Liliencron - leider - erst so spät kennen gelernt, wohl 1899 in Berlin, dass von einer Beeinflussung der älteren Sachen nicht wohl gesprochen werden kann, und Agnes Miegel vollends ist ja im allerunmittelbarsten Sinne meine Schülerin!
Interessant wäre es mir die "bekannteste deutsche Volksballade" kennen zu lernen, der ich das "Pagenabenteuer" nachgedichtet habe; bitte vergessen Sie ja nicht mir zu schreiben, wo ich sie finden kann, - ich habe tatsächlich keine Ahnung von ihr, sondern den Stoff einem Briefe entnommen. Das wesentlichste ist mir aber ein Irrtum des G. R. Litzmann, dass ich dafürhielte der Kern der Ballade sei dekorativ! Genau das Gegenteil habe ich seit 20 Jahren verfochten! Nämlich den Satz: das Beste, Feinste der Ballade soll ein Innerliches sein! Und diese Forderung, die z. B. Liliencron völlig fremd war, habe ich als auszusprechen notwendig begründet mit der Feststellung der Tatsache, dass der Kern der meisten Balladen dekorativ sei, d. h. dass leider 99% alle der Balladen die Wolff oder Echtermeyer gesammelt haben, die seit einem Jahrzehnt (infolge meiner Anregungen und Erfolge!) Deutschland überschwemmen, nicht innerlich, sondern äußerlich dekorativ sei. Ich weiß, dass es kaum der Bitte bedarf dies bei der nächsten Versammlung Ihrer Gesellschaft festzustellen. Dichtereitelkeit ist mir was gräuliches, aber wenn man so das Wesentliche seiner Lebensarbeit nicht verkannt - was bedeutet das! - nein: ins Gegenteil verkehrt sich durch ein offenkundiges Verhören, dann hat man wohl doch Recht und Pflicht Korrektur zu verlangen. - Vielleicht erlauben Sie mir einige generelle Worte zu Ihrer Kritik.
Die Mitteilung der uralten ästhetischen Plauderei an Sie hat mir unendlich geschadet und ich bedaure sie sehr als eine tüchtige Dummheit von mir. Ich glaube, es wäre gerechter gewesen den Dichter nur nach seinen Gedanken zu beurteilen. Dass aber auch andere Kollegen von Ihnen leider ebenso wie Sie verfahren, mögen Sie aus einliegender Arbeit Kutscher - Münchens ersehen. Besonders bedaure ich, dass Sie nichts davon gesagt haben, was die Ballade vor mir war und was sie bei mir und durch mich geworden ist. Lesen Sie, irgendwo aufgeschlagen!, die Colshornsche Sammlung von 1874, lesen Sie irgendwo 20 Seiten in Liliencrons Balladenchronik und dann 20 Seiten in Herzen im Harnisch! Ich kann nur voller Sorge hoffen, dass die Zukunft da gerechter gegen mich ist.
Ich glaube, dass die politische Überzeugung ziemlich unwesentlich ist für den dichterischen Wert - Voss ist tot trotzdem er liberal, Strachwitz lebendig, Trotzdem er konservativ war. Ich lege auf die Paradigma wenig Gewicht! Aber ich muss alle Tage erleben, dass die rein liberale Ästhetik unserer Zeit mir meine politische Überzeugung fast vorwirft, sie aber mindestens als Hemmung, als Schönheitsfehler meiner Kunst ansieht. Und das ist fabelhaft ungerecht, - was würden Sie sagen, wenn ich bei Henckell oder Dehmel seitenlang mit vielen Abers und bedenklichen Leiders von ihrem sozialdemokratischen Einschlag reden wollte! Man ist Dichter einerlei ob man Heide oder Katholik, Schweinehund oder Superintendent, Sozi oder Kronzeitungler ist, theoretisch geben Sie alle das ja auch zu, aber praxi ist dann der Heide, der Schweinehund und der Sozi immer viel interessanter und von vornherein viel milder angefasst! -
Nun aber Schluss und nochmaligen höflichsten Dank für Ihre Arbeit von Ihrem ganz ergebenen

Börries Freiherr v. Münchhausen

Wenn Sie mich nur einmal aufsuchten, - ich glaube, Sie würden sich sehr wundern!

Berlin, den 6.3.1917:

Sehr geehrter Herr Professor,
ich bedaure sehr z. Z. so mit Arbeiten überlastet zu sein, dass ich nicht mitarbeiten kann.
Ihre Arbeit über mich habe ich seither oft Freunden vorgezeigt als Beweis, wie sehr selbst ehrliche philologische Arbeit, wie die Ihre vorbeischießen kann am Ziele. Und wir sind dadurch dann oft an der Spürkraft der Philologie überhaupt irre geworden. Und an der Möglichkeit Wesentliches über Kunst anderswo zu finden als beim Künstler selber. - Ich hab das damals, als ich mit Ihnen korrespondierte, noch nicht so klar erkannt und es drückt mich alle die Jahre, dass ich Sie im Unklaren, ja sogar bei einer irrigen Meinung über meine Kritik der Arbeit gelassen hatte. Nun freue ich mich, dass ein freundlicher Zufall mir die Gelegenheit gegeben hat das ins Klare zu rücken.
Mit besten Empfehlungen bin ich Ihr ergebener

Börries Frh. v. Münchhausen

aus: Horstmann, Christina: Die Literarhistorische Gesellschaft Bonn im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Dargestellt am Briefnachlaß von Carl Enders, Bonn, Bouvier, 1987
KlassifikationArchivalie - Korrespondenz
Anzahl/Art/Umfang2 eigenhändige Briefe mit Unterschrift ; 1 eigenhändige Postkarte mit Unterschrift
AbsendeortMünchen
AbsendeortBerlin
ObjektnummerHHI.2010.1000.241