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Brief von Friedrich Hebbel
Korrespondenz von Friedrich Hebbel an Karl Gottfried Theodor Winkler
Brief von Friedrich Hebbel
Brief von Friedrich Hebbel

Korrespondenz von Friedrich Hebbel an Karl Gottfried Theodor Winkler

Absender*in (1813 - 1863)
Empfänger*in (1775 - 1856)
Datierung1853
Beschreibung"Verehrtester Herr und Freund! Was ich Ihnen schrieb, als ich meine Agnes Bernauer zurück erhielt, das wiederhole ich auch jetzt, nun ich die Judith wieder erhalte : ich werde freundschaftliche Bemühungen nie nach ihrem äußeren Erfolg abschätzen. Ich glaube, daß Sie für mein Stück redlich das Ihrige gethan haben, ich bin fest überzeugt davon, und von den bitteren Empfindungen, welche die Ablehnung dieß Mal in mir erregten, kommt nicht eine einzige auf Ihre Rechnung.
Dagegen erlauben Sie Ihrerseits mir aber auch gewiß, den Fall mit meinen eigenen Augen zu betrachten und das angewandte Motiv der Unbesetzbarkeit des Holofernes für eine bloße Artigkeit Ihres Herrn Intendanten zu erklären, die ich zu würdigen weiß, die mir jedoch bei einem allbekannten Stück, von dem Tausende von Exemplaren verbreitet sind und das, wie in Deutschland so auch in Frankreich, England und Italien seit Jahren Gegenstand leidenschaftlicher Debatten ist, sehr wenig zu passen scheint. Dieß Motiv ist nämlich an und für sich an einer Bühne, wie die Dresdener, etwas unwahrscheinlich, da Theater, wie z.B. das Prager, welches die Judith eben jetzt zur Aufführung bringt, auf ein solches Hinderniß nicht zu stoßen und doch ohne Zweifel an Kräften und Mitteln viel niedriger stehen. Jedenfalls aber konnte man über den Punct ins Klare gelangen, ohne den Verfasser der Fatalität einer abschlägigen Antwort auszusetzen, von denen niemand gern eine Sammlung anlegt, denn das Original des Stücks genügte vollkommen zu diesem Zweck, es bedurfte nicht des Einblicks in das Wiener Soufflir-Buch, von dem man sich eine Abschrift bestellte. Daß ich mir meine Auslagen nicht ersetzten lasse, versteht sich von selbst, wenn ich auch im allgemeinen Interesse der Literatur wünschen muß, daß deutsche Theater-Intendanzen zu ihren übrigen Regalien nicht auch noch das Recht zu zählen anfangen, den Verfassern ihre bekanntesten Stücke abzufordern, um sie ihnen dann, als ob es unzugängliche Manuscripte gewesen wären, ohne Umstände wieder in die Hand zu drücken. Ich glaube, Jeder muß, vom objectivsten Standpuncte aus, so urtheilen, und Sie Selbst werden mir beistimmen.
Sie meinen, verehrtester Herr und Freund, bei einem dritten Stück werde Ihre Fürsprache sich wirksamer erweisen. Nun, ich sende Ihnen meinen Michel Angelo der in Berlin längst angenommen, bereits über die Bühne geschritten seyn würde wenn der Umbau des Schauspielhauses nicht so Manches verhindert hätte. Ungern erscheine ich vor einem ganz fremden Publicum zum ersten Mal mit einem so feinen und so kleinen Stück, das freilich in der Literatur sehr hoch gestellt wird und in Wien, als es von Holtey öffentlich vorgelesen wurde, ungetheilten Beifall fand. Aber dieses Stück kann nach keiner Seite hin Anstoß erregen und ich möchte Ihrem Herrn Intendanten gegenüber meine Erfahrungen schließen ; drei aber ist die heilige Zahl. Haben Sie die Geneigtheit, ihm den Michel Angelo zu überreichen ; vielleicht glaubt er doch, einem Mann, dem Franzosen und Engländer, (vide z.B. Revue des deux Mondes, tome seizième, livraison du lier Novembre 1852) unter den dramat. Dichtern Deutschlands seit Schiller den ersten Platz anweisen, eine kleine Satisfaction schuldig zu seyn. Ist dies nicht der Fall, so werde ich ihn gewiß nie wieder behelligen ; wohl aber dem Publicum bei Gelegenheit der Gesammtausgabe meiner Schriften, hinsichtlich derer ich eben jetzt mit Herrn J.J. Weber in Leipzig contrahirte, auch diese Erfahrung mittheilen, wie so manche andere, um der Zukunft zu Nutz und Frommen ein treues Bild der Dichter-Kämpfe unserer Tage zu erhalten.
Ich wiederhole es noch einmal, verehrtester Freund, daß ich von Ihrer treuen Theilnahme fest überzeugt bin, und bitte Sie im Voraus, mir auch eine dritte abschlägige Antwort ohne Weiteres zuzumitteln ; unser persönliches Verhältnis wird auch dadurch, dessen seyen Sie versichert, nicht im Mindesten gestört werden. Bei der Agnes ist es mir geglückt, die letzte große Scene zwischen Vater und Sohn (für die Theater!) zu beseitigen, so daß das Stück jetzt im Kerker schließt ; die Directionen sind sehr zufrieden damit und meine Freunde (unser Andreas Fritsch, der Sie grüßen läßt!) versichern mir, es habe durch die Procedur weniger verloren, wie die Judith. Meine Frau empfiehlt sich Ihnen aufs Beste und ich bin mit wahrer Hochachtung und Anhänglichkeit.
Ihr ganz ergebenster Fr. Hebbel."
KlassifikationArchivalie - Korrespondenz
Anzahl/Art/Umfang1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
AbsendeortWien
ObjektnummerHHI.94.5036.139