ObjektnummerHHI.2016.G.1001.644
Lob des Winters
Verfasser*in
Karoline Pichler
(1769 - 1843)
Datierung1830
BeschreibungTranskription:Lob des Winters
aus einem ungedruckten Roman
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Den Frühling hört’ ich oft erheben
Mit seinen Blumen, seiner Lust,
Mit seinem neu erwachten Leben,
das fröhlich schwellt des Menschen Brust!
Wie Vöglein in den Zweigen singen,
der freye Bach durch Wiesen rauscht,
Auf Triften die Schallmey’n erklingen
Und Alles Lieb’ um Liebe tauscht!
Ja, köstlich sind des Frühlings Spenden,
doch ach! wie flüchtig ihre Spur!
Kaum blüht der May an allen Enden,
So sengt des Sommers Glut die Flur.
Und von viel tausend Hoffnungsblüthen
die oft ein einzger Baum ernährt,
Was bleibt von früher Stürme Wüthen,
Vom Biß der Würmer unversehrt?
Nein, dieses Wechseln, dieses Schwanken,
Es sagt dein stiller Geist nicht zu,
der sehnet sich nach festern Schranken,
Und labet sich des Winters Ruh.
Da ist kein Hoffen mehr, kein Zagen,
Kein Spähen nach der Wolken Zug;
Und ohne Wunsch, wie ohne Klagen,
Liegt Alles unterm Leichentuch.
Ceus sinket leis’ und lind her nieder
Aus trüber Luft aufs starre Land,
Und füllt der müden Erde Glieder
In weißer Unschuld Prachtgewand.
Und die darunter schlafend liegen,
Sie sind von Schmach und Banden frey;
Sie kann kein falsches Herz mehr trügen,
Sie schmerzt nicht mehr verrathne Treu.
Sie wohnen jetzt in selgen Auen
In unzugänglich reinem Licht;
Sie können auf uns niederschauen,
Und wissen wohl was uns gebricht.
Sie wissen wer es redlich meinet
Wer weder Trug noch Wanken kennt;
Sie wissen wann der Tag erscheinet
Der dort vereint was hier getrennt.
Wien den 18 Junius 1830. Caroline Pichler
KlassifikationArchivalie - Werkmanuskript
Anzahl/Art/Umfang1 eigenhändiges Gedichtmanuskript
Institution
Heine-Institut und Schumann-Haus
Abteilung
HH Schriftstellernachlässe