Object numberHHI.2010.1000.159
Korrespondenz von Rudolf Huch an Carl Enders
Absender*in
Rudolf Huch
(DE, 1862 - 1943)
Empfänger*in
Carl Enders
(DE, 1877 - 1963)
Date1907
DescriptionBeilage: 1 Ms. m. e.. Korr., 1 S. - Bibliographie von Rudolf Huch ; 1 Ms. m. e. Korr., 16 S. - ohne TitelBad Harzburg, den 17.6.1907: H. ist von Enders Aufforderung überrascht und nicht sicher, "etwas irgend Brauchbares senden zu können." Litzmann hatte ihm als Abgabetermin für seinen Beitrag Oktober genannt. Hs gesundheitliches Befinden ist sehr schlecht, und seine "Berufsarbeit" empfindet er als anstrengend; "ich fürchte, dass ich nur Gemeinplätze zu Tage fördern würde." Außerdem glaubt H., seine literarischen Äußerungen seien nicht von allgemeinem Interesse. "Die literarische Kritik erwähnt mich entweder gar nicht oder spricht mir jede dichterische Eigenschaft ab, und das Publikum will nichts von meinen Büchern wissen. Selbst aus meinem allernächsten Bekanntenkreise höre ich mit vereinzelten Ausnahmen nur die wohlwollende Mahnung, es das nächste Mal besser zu machen, und es fehlt nicht an wohlgesinnten Freunden, die mir ernstlich raten, das Schriftstellern ausschließlich meinem Berufe zu widmen. Ich muss gestehen, dass ich selbst oft von Zweifeln geplagt werde."
Bad Harzburg, den 12.7.1907: H. hat Enders seinen Text zugeschickt. "Ich habe es so gut gemacht wie ich konnte." Seine Zeit war durch seinen Beruf jedoch sehr in Anspruch genommen. Falls Enders zufällig erfahren sollte, "dass eine Vermögensverwaltung zu besetzen ist", so möchte H. davon in Kenntnis gesetzt werden. "Anwaltschaft und Notariat zeigen einem die Menschen doch recht einseitig und stimmen so gar nicht zu dichterischem Thun."
Bad Harzburg, den 3.10.1907: H. findet die Idee, "die Schriftsteller über sich reden zu lassen", ganz ausgezeichnet. Er glaubt, dass "das Wesen jedes einzelnen halb mit Absicht, halb unbewusst zu Tage treten" werde. "Bei Mann gehts ohne eine kleine Koketterie nicht ab; so ganz reuevoll wird ihm wohl nach seinen Anfällen nicht zu Mute sein, er hat auch gar keinen Grund dazu. Wahrscheinlich liest sich mein Erguss auch anders als ich mir einbilde." H. freut sich über Enders Interesse an seinem neuen Buch. Allerdings bedauert er, dass er "den Fehler nicht vermieden" habe, den er "so streng tadelt, einige Stellen könnten in einem Erbauungsbuche stehen". Außerdem glaube er, sich mit seinen Aussagen, "zwischen zwei Stühle" gesetzt zu haben, nämlich "die von der Linken und Rechten". Im Augenblick arbeitet H. erneut an einem Roman. "Ich machte selbst lieber eine Pause, die Nerven wollen nicht mehr. Aber was soll man machen? Das deutsche Publikum wills nicht anders haben. Wilhelm Raabe hätte auch nicht so viele und dafür bessere, mindestens in der Form bessere Bücher geschrieben, wenn ihn die Gleichgültigkeit des Publikums nicht gezwungen hätte, in jedem Jahr einen Roman abzuliefern."
Bad Harzburg, den 7.11.1907: Der Inselverlag hat Hs Romanmanuskript nach zwei Monaten mit der Bemerkung zurückgeschickt, "der Verlag wolle diese Richtung nicht pflegen." Weil Enders seinerzeit einen geeigneten Verleger für H. suchen wollte, bittet er ihn nun um Hilfe. "Georg Müller bot mir für die erste Auflage achthundert Mark. Das scheint mir für einen großen Roman etwas wenig. Jemand schlug mir S. Fischer vor. Aber der ist wohl zu eng mit gewissen Modernen liiert, die ich seiner Zeit angegriffen habe."
Bad Harzburg, den 16.11.1907: H. erkundigt sich, ob "bei den Westermannschen Heften noch immer der Dr. Düsel die Ausschlag gebende Stimme hat". Wenn das der Fall ist, hält es H. für sinnlos, sich in der Richtung weiter zu bemühen.
Bad Harzburg, den 21.11.1907: H. berichtet, er fühle sich in seiner Stadt wie ein Außenseiter. "Immerhin ist es die Umgebung, in der und mit der man leben muss, und es ist doch ein sonderbares Gefühl, wenn einem ein paar Mal in jedem Jahr zu verstehen gegeben wird, dass zwar jeder Arzt und jeder Rentner, aber nicht ich zu der guten Gesellschaft gehöre. Das schlimmste ist, dass ich das Schriftstellern aufgeben muss." H. wird den Roman, an dem er gegenwärtig arbeitet, allerdings noch fertig stellen. Er ist der Überzeugung, dass er seine Anwaltspraxis vernachlässige, und das könne er vor seiner Familie und sich selbst nicht verantworten. "Das Leiden sind die ungesunden Zustände, in der Literatur wie in der Malerei: einige, und nicht eben die besten, verdienen zu viel und wir andern zu wenig." Der Roman, an dem H. im Augenblick arbeitet, trägt den Titel: "Die beiden Ritterhelm". "Ich glaube nicht, dass er viel Ähnlichkeit mit einer früheren Arbeit hat. Das ist überhaupt der Fehler. Das Publikum weiß nie, woran es mit mir ist. Als ich "Mehr Göthe" geschrieben hatte, dachten die guten Leute, es solle nun immer so fort gehen. Dass eine solche lustige Frechheit, wenn sie wiederholt wird, nicht mehr lustig ist aber mehr als frech, wie sollen sie das ahnen?" Über seinen Roman schreibt H. folgendes: "Die beiden Ritterhelm sind Vater und Sohn, ein altes Kaufmannsgeschlecht. Man mag sich etwa Bremen als Ort der Handlung denken. Ein leider früh verstorbener Bremer Dr. G. G. Meier, Sohn des bekannten Lloyd Meier, war im Sommer stets ein oder zwei Wochen hier, und wir haben dann Spaziergänge zusammen gemacht. Gesprochen wurde de rebus omnibus et quibusdam aliit, fast wie über Bremer Verhältnisse. Trotzdem sind mir aus gelegentlichen Äußerungen gewisse Vorstellungen entstanden, die vielleicht der Wirklichkeit gar nicht entsprechen. Ich habe Bremen nie gesehen. Ritterhelm Vater ist ein feiner und stolzer Mensch und ein schlechter Kaufmann. Der Sohn ist nichts weniger als fein. Was er besitzt, ist eine etwas derbe, aber ich denke unverkennbare Rasse und einige Gemütlgkeit. Dennoch ist er vom Tode des Vaters an, der ist etwa die Mitte des Buches, der Handelnde. Er ist nur humoristisch zu nehmen, es ist vielleicht ein sonderbarer Einfall, dass ich ihn zum Handelnden gemacht habe.
Sagen will das Buch nichts. Wie die Welt einmal ist, muss es dem Vater so und kann es dem Sohn so ergehen. Ob das gut oder beklagenswert ist, darauf gebe ich keine Antwort. Am Schluss herrscht blauer Himmel. Nur sehr wenige werden auf den Gedanken kommen, der Autor sähe den Zustand der Familie Ritterhelm vielleicht doch nicht als so durchaus befriedigend an, wie er sich den Anschein gibt. Nehmen Sie dazu noch das Vergnügen an einem gewissen Witz des Schicksals, das ich in der Welt zu finden glaube, und Sie haben alles, was sich über das Buch sagen lässt."
aus: Horstmann, Christina: Die Literarhistorische Gesellschaft Bonn im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Dargestellt am Briefnachlaß von Carl Enders, Bonn, Bouvier, 1987
ClassificationsArchivalie - Korrespondenz
Curatorial Remarks6 eigenhändige Briefe mit Unterschrift ; 4 eigenhändige Postkarten mit Unterschrift ; 3 adressierte Briefumschläge
AbsendeortBad Harzburg
Institution
Heine-Institut und Schumann-Haus
Department
HH Schriftstellernachlässe