Object numberHHI.2016.G.1001.665
Korrespondenz von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer
Absender*in
Gabriele Reuter
(1859-1941)
Empfänger*in
Heinrich Steinitzer
(1869 - 1947)
Date1918
DescriptionTranskription:Berlin d. 30.III.18
Ludwigkirchstr 2.
Mein lieber Freund!
Recht bewegt und beglückt schreibe ich Ihnen
heut um Ihnen zu sagen, daß Lili sich
am Mittwoch mit Hannes Avenarius
verlobt hat. — Sie waren ja schon seit
dem Herbst einig, wollten sich aber doch
noch näher und tiefer kennenlernen
und dem jungen Mann fiel wohl
auch die endgültige Bindung einiger-
maßen schwer. Er ist kein ganz leichter
Charakter und Lili wird neben
ihm mancherlei durchzukämpfen haben.
Doch sie liebt ihn leidenschaftlich und
er ist ihr unbedingte Autorität. Sie
hat einen merkwürdig sicheren Instinkt
in dem Ton mit ihm, das schätzt er außer-
ordentlich, findet sie überhaupt klug,
reif und dabei reizvoll verrückt.
Sein derber Humor, (der mir zu derb
sein würde) ist ihr pläsierlich und
er versteht es auch gut, sie für sich zu
erziehen. So kann man ja wohl
hoffen, daß die beiden Menschenkinder
sich miteinander einleben.
Im Mai — vielleicht in der Pfingst-
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woche wollen wir eine stille kleine
bescheidene Hochzeit feiern. Mit Aus-
steuersorgen braucht man sich ja nicht
zu beschweren, da es eigentlich nichts
zu kaufen giebt. Dann will das junge
Paar für vierzehn Tage nach Hirschberg
zu seiner Familie und nach ihrem
geliebten Schreiberhau. Und dann
wollen sie in der Pension, in der er
jetzt bequem und mit gutem Essen
wohnt, auch weiter hausen. Avenarius
hat ja sein festes Gehalt im Stab, mit
dem was ich Lili geben kann, können
sie bei vernünftiger Einteilung
die laufenden Ausgaben bestreiten.
Auch verdient er ja mit Portraits
und Buchschmuck recht gut. Es hat
also eigentlich keinen Sinn länger
zu warten. – Nicht ohne Sorgen bin
ich wegen seiner Gesundheit. Er
ist arg überarbeitet, recht nervös,
und wie ich Ihnen vielleicht schon
erzählte, macht ihm der zerquetschte
Nerv in seinem Bein oft viel
Schmerzen. Aber er hat doch wenigstens
noch alle Glieder – und einen
ganz gesunden Mann wird man
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nach dem Kriege wohl überhaupt nicht
mehr in Europa finden. — Hübsch
ists, daß Hannes sich so wohl in unsren Räumen
fühlt, es ihm gleich so vertraut und
heimisch bei uns war und er paßt
auch durchaus in unsren Lebens-
stil. Nur ist er lebensfroher, feiert
gern Feste — ist überhaupt ein
Genießer und Lili schwelgt schon
in der Vorfreude auf ein bunteres
und reicheres Leben als neben der
alten müden Mutter. Ich gönn’s ihr
von Herzen!
Zwanzig Jahre — und nun kehrt
man zu sich und in sich zurück —
Denn es ist ein Abschied, ein innerlicher
gewiß, auch wenn das junge Paar
äußerlich noch sehr auf mich an-
gewiesen sein wird. Aber über diese
Dinge ist nicht zu reden und ich will
mich an dem freuen was schön
und gut und lieb an diesem Bunde
ist! — Hanns hat eine Art „Muttchen“
zu sagen, daß mein Herz schon
völlig schmilzt.
Liebster Freund — schreiben Sie
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mir und Lili bald — wir sehnen uns
beide nach Ihrer freundschaftlichen
Anteilnahme! Anfangs war die Rede
von einer Fahrt nach München für
das junge Paar, aber die Vernunft
riet dann schließlich doch zu Schlesien
obwohl wir bereits die schönsten Pläne
von gemeinsamen Ausflügen mit Ihnen
machten. Es ist so Schade, daß auch
die Freundschaft in diesem Krieg auf
so spärliche Rationen gesetzt wird.
Wie gern hätten wir Sie zur Hochzeit
hier. Aber das kann man Ihnen ja
jetzt garnicht zu muten. Wie
geht es Ihnen? Ich hörte so lange nichts,
mochte in der Ungewißheit auch nichts
schreiben. — Mein Herz ist doch sehr er-
leichtert. Ich glaube, daß das Glück
in Lili noch viel entwickeln und
auslösen kann!
Viel viel Herz innige Grüße, mein
guter Steinitzer! Wenn Sie ahnten
wie viele lange Gespräche ich in
dieser kritischen Zeit im Geiste mit
Ihnen gepflogen habe! Ihre alte
Freundin Gabriele
Reuter.
ClassificationsArchivalie - Korrespondenz
Curatorial Remarks1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
Institution
Heine-Institut und Schumann-Haus
Department
HH Schriftstellernachlässe