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Brief von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer, 1917, 1. Seite
Korrespondenz von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer
Brief von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer, 1917, 1. Seite
Brief von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer, 1917, 1. Seite
Object numberHHI.2016.G.1001.664

Korrespondenz von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer

Absender*in (1859-1941)
Empfänger*in (1869 - 1947)
Date1917
DescriptionTranskription:

Berlin d. 21.12.17.
Ludwigkirchstr 2.


Mein lieber Freund! Ja, Sie haben Recht,
Es ist eine Ewigkeit, seit ich nichts von mir
hören ließ — wohl ein ganzes Vierteljahr.
Aber zum Weihnachtsfest gehen meine
freundschaftlichen Gedanken besonders herzlich
zu Ihnen und möchten auch Ihnen, wie Sie
es in Ihrem lieben Brief und Ihrer Karte
mit dem strahlenden Bäumchen tun,
gute Tage und viel Erfreuliches wünschen.
Inmitten dieses Satzes wurde auch ich wieder
unterbrochen von Lili, die sehr strahlend
und weihnachtlich sein kann, um mich
zu weiteren Besorgungen abzuholen.
Und dann kam Hanna Dülong (die Arme
liegt in Scheidung mit ihrem Manne) und
plötzlich trat auch mein Bruder Martin
ins Zimmer auf dem Rückweg aus dem
Polnischen, wo er diesmal seinen Urlaub ver-
brachte, nach der Heimat. Da wars denn
begreiflicherweise mit dem Schreiben zu
Ende. Er kampierte bei uns auf dem
Sopha. Doch konnte ich mich seines Besuches
nicht sehr in Ruhe erfreuen weil Lili u
ich heut zum lieben Sonntag schon früh-
zeitig ins Deutsche Theater zogen, als
Mitglieder der Gesellschaft zur Pflege
junger Dichtung. Und von 12 — 4 Uhr dauert
die erste Aufführung, die trotz wunder-
vollen Spiels die Menschen nicht zu er-
wärmen vermochte — bis auf Wenige,


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die denn doch tief erschüttert waren,
von diesem starken, brausenden
und so tief seelischem Talent — neun-
zehn Jahre war der Junge und liegt
nun schon längst irgendwo in Flan-
dern oder Rußland begraben! Ich
habe Lili selten so ernst ergriffen gesehen,
ich wars seit langer Zeit nicht mehr
so! Da traf die Granate einen wahrhaftigen
Dichter! Das Ganze ist formlos, undra-
matisch, hat tausend Fehler, aber Rein-
hardt Sorge wäre „Einer“ [?] geworden.
Beim Heimkommen saßen Martin
Und die junge Fr. Dr. Hauptmann, die
unser Weihnachtsgast sein wird, am
Ofen beieinander und warteten sehn-
lichst unserer Rückkehr und wir fielen
alle heißhungrig über Suppe mit
Entenklein und Weißkohl mit Kartoffeln
mit nachfolgendem Tee her. Sie sehen
aus dieser Schilderung, daß wir Gott sei
Dank noch satt werden, (hatten sogar
Schinkenbrode u Fondants mit im Theater)
und daß unsre Stuben wenn auch nicht
so warm, wie wir uns wünschen möchten,
so doch ganz erträglich warm sind.
Für gewöhnlich ist zwar mein Zimmer
nur wie eine warme Insel im Eis-
meer unsrer sonstigen Wohnung, doch
zum Fest haben wir ein Uebriges getan.
Ein Tannenbaum wartet auch darauf


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geschmückt zu werden und ich denke mit
Wehmut des hübschen Winters, als Sie
uns dabei halfen, Meebold mit seinem
herrlichen Confeckt anrückte und
wir so vergnügt waren! Ja — wann
werden wir uns einmal wiedersehen?
Ich kann nicht einmal sagen: ich hoffe
auf diesen Sommer, denn bei den
Reiseerschwerungen werde ich mich wohl
nicht weiter als bis ins nahrhafte Meklen-
burg begeben! Ach — mein Roman
ist zwar so zu sagen beendet, doch mit
der Ueberarbeitung bin ich seit fast
drei berliner Monaten nicht um einen
Schritt weiter gekommen. Ob nach dem
Fest die ersehnte stille Zeit kommen wird?
— Die von Ihnen angedeutete Ueber-
raschung läßt noch immer auf sich
warten — und wie ich ehrlich sagen muß:
ich hoffe, sie tritt noch nicht so bald ein.
Wir sind alle drei Menschen ganz einig
in unsrer Antipathie gegen offizielle
Verlobungen so lange keine Aussicht
auf eine Heirat vorhanden ist. In-
zwischen ist die Freundschaft zwischen
den jungen Leuten doch um ein ganzes
Teil wärmer geworden, sie zeigen
ihre Zuneigung zu einander recht
unbefangen, aber —: er ist halt
Künstler, und doch ziemlich un-
berechenbar. — Jedenfalls wird er


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am ersten Feiertag hier sein und freut
sich wie ein kleiner Junge darauf, uns
die Bescheerung, die er aus Wien mit-
gebracht hat, aufzubauen! Es wird
sich wieder ein recht gemütlicher wenn
auch gerade kein lustiger Abend. Denn
die liebe schöne Frau Hauptmann hat
vor sechs Wochen ihren Mann in Flan-
dern verloren, einen Neffen von Gerhardt
und wie alle die ihn kannten, behaupten:
wohl der Bedeutendste aus der jüngeren
Hauptmanngeneration. Er stand dem
Freunde von Lili sehr nahe, dieser nimmt
sich natürlich der jungen Wittwe an sowie
es geht und zu weilen denke ich bei mir
ob diese höchst sympathische junge Frau
ihm nicht doch sehr lieb werden könnte.
Aber jetzt noch ist der lebhafte Verkehr
hin und wieder noch ganz ungetrübt.
Lili ist auch wirklich, wie noch eben
mein Bruder feststellte auf der Höhe
ihrer jugendlichen Blüte! — Da kommen
sie eben wieder und nun will ich
schnell schließen, damit mein Gruß
Sie noch im Fest erreicht! Bei herzlicher
treuer Gesinnung im alten wie
im neuen Jahr
Ihre
Gabriele Reuter!



[Randbemerkung S.4:]

Lucia verlebt diesen Winter auf dem Hirsch, wo sie sich sehr wohl fühlt.



[Randbemerkung S. 1:]

Ich finde, dies ist nur der Anfang eines Briefes! Die Fortsetzung soll bald folgen.




ClassificationsArchivalie - Korrespondenz
Curatorial Remarks1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
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