ObjektnummerFM.Film.9228
DNEVNIK GLUMOVA
Titel DeutschGlumow's Tagebuch
Sonstiger TitelGlumows Tagebuch
Datierung1923
Beschreibung Zwischentitel: Das Jahr 1923. Moskau. Das Theaterstück "Auf jeden Klugen kommt reichlich Einfalt " (=Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste) in dem Proletkult-Theater Zwischentitel: Ausschnitte aus dem in das Stück aufgenommenen Filmfeuilleton "Glumovs Tagebuch" 1: Teil: Glumow in schwarzer Maske, Frack und Zylinder klettert auf das Dach der Morozow-Villa und springt vom Flugzeug aus in ein fahrendes Auto 2. Teil: Glumows Tagebuch. Glumows Verwandlungen in - eine Spielkarte - eine Kanone - eine Drehscheibe - ein kleines Kind - einen Esel - Hochzeitspaar - Hand mit Filmrolle Zwischentitel: Sergej Eisenstein und Mitwirkende der Aufführung: G. Alexandrov V. Janukova M. Strauch A. Antonov und andere. 3. Teil: Eisenstein vor einem Plakat zur Aufführung von Ostrovskijs Stück "Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste" anschließend: Vorstellen der einzelnen Akteure in ihren Rollen Die Reihenfolge der drei Teile ist ungeklärt ! Kinopravda Nr. 16, März 1924, unter dem Titel: Die Frühlingspravda. Eine Landschaftschronik (Vesennjaja pravda. Vidovaja liriceskaja chronika) Das Thema des Frühlings wird in drei Sujets behandelt: Moskau im Frühling, Obdachlose, Mai mit dir. In diese Nummer nahm Vertow dazu noch Eisensteins erste Filmproduktion "Glumows Tagebuch" auf, die für die Ostrovskij-Inszenierung "Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste" im März 1923 am Moskauer Proletkulttheat er gemacht war. Montage der Attraktionen (Zur Inszenierung von A. N. Ostrovskijs Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste im Moskauer Proletkult) I. Die Linie der Theaterarbeit des Proletkult In wenigen Worten. Das Theaterprogramm des Proletkult besteht nicht in der "Verwertung der Werte der Vergangenheit" oder im "Erfinden neuer Formen", sondern in der Abschaffung der Institution des Theaters als solchem. Es wird zu einem Ort werden, wo die Hebung des Niveaus der Qualifizierung und Ausstattung der Massen für ihr Alltagsleben demonstriert wird. Die Organisation der Werkstätten und die Ausarbeitung eines wissenschaftlichen Systems zur Hebung dieser Qualifikation ist die unmittelbare Aufgabe der wissenschaftlichen Abteilung des Proletkult für den Theaterbereich. Alles übrige, was gemacht wird, steht im Zeichen der Vorläufigkeit; stellt die Erfüllung nebensächlicher, zusätzlicher, nicht der Hauptaufgaben des Proletkult dar. Dieses "Vorläufig" bewegt sich auf zwei Linien unter dem gemeinsamen Kennzeichen des revolutionären Inhalts. 1. Das abbildend-erzählende Theater (statisch, milieuschildernd -der rechte Flügel) Morgenröte des Proletkult. Lena und eine Reihe von nichtrealisierten Aufführungen des gleichen Typs - die Linie des ehemaligen Arbeitertheaters beim ZK des Proletkult. 2. Das Agitationstheater der Attraktionen (dynamisch und exzentrisch - der linke Flügel) - die Linie, die ich gemeinsam mit Boris Arvatov als Grundprinzip für die Arbeit der Wandertruppe des Moskauer Proletkult vorgeschlagen habe. In Ansätzen, jedoch mit genügender Deutlichkeit zeichnete sich dieser Weg schon im Mexikaner ab - einer Inszenierung des Autors des vorliegenden Artikels zusammen mit V. S. Smysljaev (im Ersten Studio des MChT). Danach gerieten wir in völligen prinzipiellen Widerspruch miteinander bei der folgenden gemeinsamen Arbeit (Über der Schlucht von V. Pletnev). Das führte zum Bruch und zur getrennten Weiterarbeit, die gekennzeichnet ist durch den Gescheitesten und... Der Widerspenstigen Zähmung, ganz zu schweigen von der "Theorie des Aufbaus des Bühnenschauspiels" von Smvsljaev), dem alles Wertvolle an dem im Mexikaner Geleisteten entgangen ist. Ich halte diese Abschweifung für notwendig, weil alle Rezensionen des Gescheitesten, die versuchen, eine Gemeinsamkeit mit irgendwelchen Inszenierungen festzustellen. absolut den Mexikaner (vom lanuar - März des Jahres 1921) zu erwähnen vergessen. Dabei stellt der Gescheiteste und die ganze Theorie der Attraktion eine Ausarbeitung und logische Weiterentwicklung dessen dar, was ich in jene Inszenierung eingebracht habe. 3. Der Gescheiteste wurde in der Wandertruppe (Peretru) begonnen (und nach dem Zusammenschluß beider Truppen abgeschlossen) als die erste Agitationsarbeit auf der Grundlage einer neuen Methode des Aufbaus einer Theateraufführung. Il. Die Montage der Attraktionen wird hier zum ersten Mal benutzt und bedarf einer Erläuterung. Als Hauptmaterial des Theaters wird der Zuschauer herausgestellt, die Formung des Zuschauers in einer gewünschten Richtung (Gestimmtheit) - die Aufgabe jedes utilitären Theaters (Agitation, Reklame, Gesundheitsaufklärung usw.). Werkzeug zur Bearbeitung sind alle Bestandteile des Theaterapparats (das "Gemurmel" Ostuzevs) nicht mehr als die Farbe des Trikots der Primadonna, ein Schlag auf die Pauke ganz genauso wie der Monolog Romeos. die Grille hinter dem Ofen nicht weniger als die Salve unter den Sitzen der Zuschauer, die in all ihrer Verschiedenartigkeit auf eine Einheit zurückführbar sind, die ihr Vorhandensein legitimiert, auf ihren Attraktionscharakter. Eine Attraktion (im Theater) ist jedes aggressive Moment des Theaters, d. h. jedes seiner Elemente, das den Zuschauer einer Einwirkung auf die Sinne oder Psyche aussetzt, die experimentell überprüft und mathematisch berechnet ist auf bestimmte emotionelle Erschütterungen des Aufnehmenden. Diese stellen in ihrer Gesamtheit ihrerseits einzig und allein die Bedingung dafür dar, daß die ideelle Seite des Gezeigten, die eigentliche ideologische Schlußfolgerung aufgenommen wird. (Der Weg der Erkenntnis.. aber das lebendige Spiel der Leidenschaften " ist der spezifische Weg des Theaters.) Einwirkung auf die Sinne und die Psyche natürlich in jenem Verständnis von unmittelbarer Realität, in dem zum Beispiel das Guignol-Theater damit arbeitet: das Ausstechen von Augen oder Abhauen von Händen und Füßen auf der Bühne, oder die Beteiligung eines auf der Bühne Agierenden per Telefon an einem schrecklichen Geschehen Dutzende Kilometer entfernt, oder die Situation eines Betrunkenen. der seinen Tod nahen fühlt, dessen Bitte um Hilfe aber als Rauschphantasie abgetan wird. Jedoch nicht im Sinne der Entfaltung psychologischer Probleme, wo schon das Thema als solches eine Attraktion darstellt, das -wenn es genügend Aktualität besitzt - auch außerhalb der vorliegenden Theaterhandlung besteht und wirkt (ein Fehler, in den die meisten Agit-Theater verfallen, sich mit Attraktionen nur solcher Art zufriedenzugeben). Eine Attraktion im formalen Sinne bestimme ich als selbständiges und primäres Konstruktionselement einer Aufführung - als die molekulare (d. h. konstitutive) Einheit der Wirksamkeit des Theaters und des Theaters überhaupt. Ganz analog zu den Montageteilen der Bilder von George Grosz oder den Elementen der Foto-Illustrationen von Rodcenko . "Konstitutiv" insofern, als es schwierig ist abzugrenzen, wo das Gefesselt sein durch die edle Gesinnung des Helden aufhört (das psychologische Moment) und das Moment seiner Anmut als Person beginnt (d. h. seine erotische Wirkung). Der lyrische Effekt einer Reihe von Szenen bei Chaplin ist nicht zu trennen von der Attraktivität der spezifischen Mechanik seiner Bewegungen: ebenso ist schwer die Grenze zu ziehen, wo in den Martyriumsszenen des Mysterientheaters das religiöse Pathos in sadistische Befriedigung übergeht usw. Die Attraktion hat nichts mit einem Kunststück oder Trick zu tun. Ein Trick (es wird Zeit, diesem falsch verwendeten Terminus seinen ihm zukommenden Platz zuzuweisen) ist eine vollendete Leistung innerhalb einer bestimmten Meisterschaft (hauptsächlich der Akrobatik), ist nur eine von vielen Formen der Attraktionen in ihrer entsprechenden Darbietungsweise (oder im Zirkusjargon -der bestimmten Art "sie zu verkaufen"). In seiner terminologischen Bedeutung steht der Begriff - da er etwas Absolutes und in sich Vollendetes bezeichnet - in direktem Gegensatz zur Attraktion, die ausschließlich auf etwas Relativem basiert, nämlich der Reaktion des Zuschauers. Dieser Zugang verändert in radikaler Weise die Möglichkeiten in den Konstruktionsprinzipien einer "wirkenden Konstruktion " (das Schauspiel als Ganzes). An die Stelle der statischen " "Widerspiegelung" eines aufgrund des Themas notwendig vorgegebenen Ereignisses und der Möglichkeit seiner Lösung einzig und allein durch Wirkungen. die logisch mit einem solchen Ereignis verknüpft sind, tritt ein neues künstlerisches Verfahren - die freie Montage bewußt ausgewählter, selbständiger (auch außerhalb der vorliegenden Komposition und Sujet-Szene wirksamen) Einwirkungen (Attraktionen). jedoch mit einer exakten Intention auf einen bestimmten thematischen Endeffekt - die Montage der Attraktionen. Ein Weg der das Theater vollständig aus dem Joch der bis heute ausschlaggebenden, unumgänglichen und einzig möglichen "illusionistischen Abbildhaftigkeit" und _Anschaulichkeit" befreit, gleichzeitig aber - durch das Übergehen zur Montage von "real gemachten Dingen" -die Einbeziehung von ganzen "abbildenden Stücken" in die Montage sowie eine zusammenhängende Sujetintrige erlaubt, jedoch nicht mehr als etwas Selbstwertiges und Allbestimmendes, sondern als bewußt ausgewählte, stark wirkende Attraktion mit einer bestimmten Zielintention, insofern nicht die "Aufdeckung der Absicht des Dramatikers", die "richtige Deutung des Autors", die "getreue Darstellung der Epoche" usw., sondern nur die Attraktion und das System der Attraktionen die einzige Grundlage der Wirkung einer Inszenierung darstellen. Von jedem routinierten Regisseur wurde die Attraktion nach Gespür so oder so verwendet, aber natürlich nicht im Sinn der Montage oder der Konstruktion, sondern einzig und allein zur"harmonischen Komposition" (von daher sogar ein besonderer Jargon - "Schlußeffekt", "ein Auftritt, der viel hergibt", ein "guter Gag" usw.). Wesentlich aber ist, daß das nur im Rahmen der logischen Wahrscheinlichkeit des Sujets (vom Stück her "gerechtfertigt") gemacht wurde, und, was das Wichtigste ist, unbewußt und in Verfolgung von etwas ganz anderem (irgendetwas von dem anfangs Aufgezählten). Man muß nur bei der Ausarbeitung des Konstruktionssystems einer Aufführung das Zentrum der Aufmerksamkeit auf das Gebührende, das, was früher als etwas Akzessorisches, Schmückendes angesehen wurde, was aber faktisch den Hauptvermittler der von der Norm abweichenden inszenatorischen Absichten darstellt, verlegen, und, ohne sich logisch - durch Pietät gegenüber der Umweitschilderung und der literarischen Tradition zu binden, diese Art des Herangehens als Inszenierungsmethode einfahren. (Seit Herbst 1922 wird so in den Werkstätten des Proletkult gearbeitet.) Die Schule der Montage ist der Film und vor allem das Varieté und der Zirkus, denn eine (vom formalen Standpunkt) gute Aufführung zu machen heißt eigentlich, ein gutes Varieté bzw. Zirkusprogramm aufzubauen, ausgehend von den Situationen, die man dem Stück zugrundelegt. Als Beispiel das Verzeichnis eines Teils der Nummern aus dem Epilog des Gescheitesten. 1. Einleitungsmonolog des Helden. 2. Ein Stück Kriminalfilm (Erklärung zu P. 1 - Diebstahl des Tagebuchs). 3. Musikalisch-exzentrisches Entree: Die Braut und die drei abgewiesenen Bräutigame (im Stück eine Person) in der Rolle von Brautführem; eine Szene der Wehmut durch die Couplets "Eure Finger duften nach Weihrauch" und "Mag das Grab..."(mit der Idee, daß die Braut wie auf einem Xylophon auf sechs Schellenbändern, den Knöpfen der Offiziere, spielt). 4, 5, 6. Drei parallele Clowns-Entrees mit jeweils zwei Sätzen (das Motiv der Bezahlung für die Organisation der Hochzeit). 7. Entree des Stars (des Tantchens) und drei Offiziere (das Motiv des Hinhaltens des abgewiesenen Bräutigams) mit einem Wortspiel (durch die Erwähnung des Pferdes) zu einer Nummer einer dreifachen Volte auf ein ungesatteltes Pferd (wegen der Unmöglichkeit, es in den Saal zu führen - ein traditionelles Pferd "aus drei Mann"). Im Chor gesungene Agit-Couplets: 'Der Pope hat einen Hund'. währenddessen bildet der Pope als "Kautschuknummer" die Form eines Hundes das Motiv des Beginns der kirchlichen Trauung). 9.Unterbrechung der Handlung (die Stimme eines Zeitungsverkäufers bewirkt den Abgang des Helden). 10. Das Erscheinen des Bösewichts in der Maske - ein Stück eines komischen Kinofilms (ein Resumee der 5 Akte des Stücks in verschiedenen Verwandlungen - das Motiv der Veröffentlichung des Tagebuchs). 11. Fortsetzung der (unterbrochenen) Handlung in anderer Gruppierung (gleichzeitige kirchliche Trauung mit den drei Abgewie senen). 12. Antireligiöse Couplets "Allah verdy" (EinWortspielmotiv, die Notwendigkeit der Heranziehungeines Mullas angesichts der großen Zahl von Bräutigams bei nur einer Braut) - ein Chor und eine neue, nur in dieser Nummer besetzte Figur - ein Solist im Kostüm. eines Mullas. 13. Gemeinsamer Tanz. Spiel mit dem Plakat 'Religion ist Opium für das Volk'. 14. Eine Farcen-Szene: die Frau und die drei Männer werden in einen Kasten gesteckt und auf dem Deckel Tontöpfe zerschlagen. 15. Sitten und Bräuche parodierendes Trio mit dem Hochzeitslied "Wer aber bei uns jung ist". 16. Jähe Unterbrechung, Rückkehr des Helden. 17. Flug des Helden an einer Longe bis unter die Kuppel (Motiv des Selbstmords aus Verzweiflung). 18. Unterbrechung -Rückkehr des Bösewichts - der Selbstmord wird aufgehalten. 19. Degenkampf (Motiv der Feindschaft). 20.Agit- Entree des Helden und des Bösewichts zum Thema NEP. 21.Akt an einem abschüssigen Drahtseil: Passage von der Manege Über die Köpfe der Zuschauer weg auf einen Balkon (Motiv der "Abreise nach Rußland"). 22.Clowneske Parodierung dieser Nummer (durch den Helden) und Absprung vom Seil. 23. Fahrt eines Clowns vom Balkon aus an dem Drahtseil entlang, wobei er sich nur mit den Zähnen festhält. 24 . Finales Entree der zwei Clowns, die sich gegenseitig mit Wasser begießen (traditionell),abschließend mit der Erklärung "Ende". 25. Eine Salve unter den Sitzen der Zuschauer als Schlußakkord. Sergej Eisenstein 1923(Quelle: Filmmuseum Düsseldorf)
KlassifikationTon/bewegtes Bild - Werk
Filmgenre<Spielfilm>
Institution
Filmmuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf
Abteilung
FM Filme