ObjektnummerHHI.2010.1000.375
Korrespondenz von Josef Winckler an Carl Enders
Absender*in
Josef Winckler
(DE, 1881 - 1966)
Empfänger*in
Carl Enders
(DE, 1877 - 1963)
Datierung1920-1930
BeschreibungBeilage: 1 masch. Dg., Bonn, 8.6.1925 - Carl Enders an Dr. Kilpper (DVA) ; 1 masch. Dg., Bonn, 7.6.1925 - Carl Enders an Josef Winckler ; 1 masch. B. m. e. U., München, 13.4.1926 - Münchner Neueste Nachrichten an Josef Winckler ; 1 masch. Dg., o. O., 18.5.1922 (unvollst.) - Unbekannt an Josef Winckler ; 1 Dr. m. hs. Widm., 4 S. - An die Freunde und Verehrer Richard Dehmels ; 1 Programmheft des Diederichs Verlag m. hs. Anm. ; 1 Dr. m. hs. Anm., 1 S. - "Die Flügelspielerin und ihr Tod"Moers, den 28.3.1920: W. dankt für Enders Zuschrift. "Wir sind ja aus dem Bonner Seminar her alte Bekannte. Ich sprach auch neulich mit Eulenberg schon von Ihrem Unternehmen." W. bestellt ein Exemplar der Festschrift, deren Mitarbeiter er zum größten Teil kennt. "Ich vermisse nur Willrath Dreesen, der seiner Zeit mit der Ebba einen so schönen Anlauf genommen hatte. Von den jüngeren Dichtern (Rheinländern) würden als Blutsverwandte in den Musagetes noch passen: Goering, Hasenclever." Er sendet Enders ein paar Legenden aus dem demnächst bei Eugen Diederichs erscheinenden "Irrgarten Gottes". "Ich war ja wohl einer der gläubigsten Apostel deutscher Größe und Sieghaftigkeit und im Irrgarten rast des Dichters Verzweiflung an Gott, Welt, Menschheit sich aus."
Moers, den 9.4.1920: W. wird dafür sorgen, dass Enders stets seine neuen Bücher zugestellt bekomme. Er werde im Laufe des Jahres seine Praxis abtreten und sich "ganz der Kunst widmen. Als erstmalige Summe sind uns 100000 M zur Propagierung unsrer Ideen zur Verfügung gestellt worden. Ich selbst bin pek. unabhängig, sodass wir mit voller Stoßkraft einsetzen können. Nie vordem ist ja dem Dichter auch als ethischer Kraft ein so großes Feld offen gewesen, wie es schon immer uns Nyländern Glaubenssatz war, dass der wahrhaft moderne Mensch (Dichter) auch werktätig im Volksganzen seinen Mann stellen müsse! Weniger denn je kann Deutschland sich eine morbide Existenz leisten und jeder muss in die Sielen." W. weist noch auf einige ihm bedeutsam erscheinende zeitgenössische Dichter hin.
Moers, den 17.5.1922: W. sendet Enders eine Besprechung seiner Keller-Biographie, die er vielleicht noch nicht kenne. Er möchte wissen, ob Enders inzwischen den "Irrgarten Gottes" erhalten habe und welche Nyland-Werke ihm noch fehlen. W. hält im Hinblick auf die bevorstehende Versammlung die Hinzuziehung der rheinischen Presse für sehr wichtig. Er schlägt "eine reine Pressekonferenz aller Feuilletonredakteure des Rheinlandes" vor. "Wenn Auszüge, Vorträge, Veranstaltungen jeder Art des Bundes stets in der Presse a priori ihr Spiegelbild fänden, so ist der Erfolg gesichert. Da es sich um absolut unpolitische, rein geistige Dinge handelt, ist ein Interessengegensatz nirgends zu befürchten. Sollte es sich wirklich erfüllen, dass endlich unter lebendiger Mitwirkung der rheinischen Hochschulen schöpferische Arbeit in edler Gemeinschaft geleistet würde, so hätten wir endlich ein Gremium, das die alte Tradition fortträgt."
Moers, den 19.5.1922: W. hält eine Pressekonferenz, zu der neben Journalisten auch Mitarbeiter literarischer und wissenschaftlicher Vereine eingeladen werden müssten, nach wie vor für sehr wichtig. Enders solle auf dieser Zusammenkunft "einen instruktiven Vortrag über Geschichte und Mission rh. Literatur halten", ähnlich Sarnetzkis Beitrag über rheinisches Schrifttum, der sich an Enders Worte anschließen ließe. Außerdem müssten sich möglichst alle Redaktionen "verpflichten, im Feuilleton die wichtigsten Veröffentlichungen und programmatischen Veranstaltungen der neuen Gesellschaft fortlaufend zu bringen". Bourfeind sei geeignet, die Organisation zu übernehmen. W. hält die Zweiteilung der Gesellschaft in eine wissenschaftliche Abteilung, die Enders betreut, und eine Abteilung für schöngeistige Literatur, worin neben Sarnetzki und Bourfeind auch Röttger, W. selbst und andere ein "autoritatives Kollegium zur Beurteilung künstlerischer Leistung" bilden könnten, für sehr sinnvoll.
Münster, den 29.7.1922: Bourfeind hat W. von Enders Plan unterrichtet. Für das Gelingen ist nach Ws Meinung nach wie vor gezielte Werbearbeit unerlässlich. Er macht den Vorschlag, "ein Programm für die Schaufenster des rh. Buchhandels drucken zu lassen". W. bietet eine Liste aller Nyland-Werke an, will ein "Jemälde" seiner "werten Person (...) zur Wanderschaft durchs Rheinland dito stiften" und könnte Frau D. Schmitz bitten, seine Balladen vorzutragen. "Idee - aus der verklungenen Romantik, die noch einmal in all ihrer Zauberschöne herauf rauscht, über die furchtbare Gegenwart hinaus in neuen Zukunftsglauben, der das lebensvolle Alte mit dem lebensmächtig Neuen zu schönerer Harmonie vermählt! Also Romantik, Wein, Liebe, Sehnsucht, Scherz, Verzweiflung, Niederlage, Hoffnung, Arbeitsinbrunst, Menschheitserlösung!" Bedauerlicherweise muss W. gegenwärtig aus finanziellen Gründen promovieren, "damit man nicht mit Dentisten verwechselt wird". Er sei deswegen gezwungen gewesen, schon "zwei Aufforderungen zur Schaffung deutscher Volksspiele unter den Tisch fallen zu lassen". Der Schriftsteller W. nehme an Bedeutung immer mehr zu. Er "figuriert (...) in allen lit. Vorlesungen, beim Abitur wird sogar in Winckler geprüft, Soergel schrieb mir: dreimal käme nur ich als Stimme der Erde in Betracht, als Repräsentant der deutschen industriellen Großmachtentfaltung vorm Kriege (Eis. Sonette!), als stärkster Gestallter des Krieges selber und jetzt als Stimme des Niederbruchs! In Philologenblättern wird auf mich mit Fackeln hingedeutet! Mehrere Pfund großartigster Anerkennungen im In- und Ausland lagern zu Bündeln verschnürt in meiner Klause" Preise hagelten auf mich herab! Ich bin der erste Zahnarzt, der diesen jüngsten akadem. Stand in der großen Literatur öffentlich vor der Nation legitimierte - mein Tag ist da, zu wirken mit meinem Blut (...)" W. fände es angemessen, wenn ihm seine Zahnarztkollegen "diesen Dr.: honoris causa mit Jubilate in den Schoß" werfen würden. "Aber dieser Dr. scheint nur noch ein Attribut für erfolgreiche Industrieritter oder reklametüchtige Politiker zu sein, denn er wird jetzt an Leute massenhaft verschwendet, die nicht ein hundertstel meines Radius geworfen haben!" W. hebt seine große Bedeutung u. a. dadurch hervor, dass er sich als "den einzigen Dichter der deutschen Kriegsglorie" bezeichnet. Zur Verleihung des Ehrendoktors, der seiner Meinung nach viel zu sehr an andere verschwendet wird, schreibt W. noch: "Oder hat etwa ein Thomas Mann dem deutschen Genius mächtiger gedient in seelenkühler Manieriertheit? Aber er hat einen routinierteren Verleger als der vornehme Diederichs!!!!!!!!!"
Moers, den 9.11.1922: Wegen seiner Promotion, die W. viel Zeit koste, müsse er leider auf die geplante Vortragsreise verzichten und könne längst versprochene Bücher nicht fertig stellen. Er glaubt, "dass selten ein Dichter in schlimmerem Dilemma gesessen" habe, "zumal niemand weiß, wie in nächster Zeit die Verlagsverhältnisse von Grund aus verändert sein können und ob es nicht eine Gnade der Götter ist, dass man jetzt überhaupt noch gedruckt wird?! Dazu schmeiß ich Geld der Bahn, den Gastwirten, den Trams, den Cafés in den Rachen, kulturlos, sinnlos, unwürdig, räuberisch." W. findet es falsch, dass er nicht zusätzlich an der philosophischen Fakultät promovieren darf; er ist überzeugt, dass er eine Dissertation liefern könnte, "z. B. die künstlerische Gestaltung des modernen Kriegstypus". Er gibt Enders zu verstehen, wie verdienstvoll es auch für ihn wäre, sich für W. einzusetzen. "Die Bonner Universität hat auch den Mann eines Arndt zu gedenken und Simrocks deutsches Erbe zu verwalten, Simme der Westmark zu sein und da kann ich nicht übersehen werden!" W. will Enders seinen programmatischen Ansatz senden, worin er sich "bewusst und eindeutig allen pazifistischen Seelenverwirrern und Verherrlichern der Revolution entgegen" stelle, und in dem neuen Saaleck-Buch werde er "die stärkste rh. Note anschlagen, die seit Generationen erklang! Wohl gemerkt: nicht nationalistisch, sondern im schöpferisch deutschen Sinn!!"
Moers, den 21.8.1923: W. möchte gern ein Jugendgedicht von sich in Enders Zeitschrift abdrucken lassen; darüber hinaus stellt er einen etwas längeren Beitrag in Aussicht, der "schmerzlich das Gesicht dieser Zeit trägt". "Der "Tolle Bomberg" (...) ist eine wahre Sensation geworden, Erstauflage in 14 Tagen fort, Zweitauflage 3/4 fort, über 100 Zeitungen druckten ab, Jugend, Simplizissimus, Über Land und Meer, Sport- und Jagdzeitung, Hellweg, Weltbühne kunterbunt durcheinander, dass im Buchhändlerbörsenblatt zu lesen steht: "Der größte Bucherfolg des Jahres!" Jetzt wird er - gefilmt! Alles lechzt, schreit nach Humor, Befreiung aus der Tagesmisere." W. wäre dankbar, wenn Enders sich mit "philologischer Sachwilligkeit" mit seinem Werk beschäftigen würde. "Ich rechne auf gut 100-150 Jahre, bis es voll verstanden sein wird."
Godesberg, den 12.8.1927: W. hat auf Enders Geburtstagsfeier zu dessen "Ehre eine Philippika" auf irgendwelche Studenten gehalten; "dies Studentenerlebnis war für mich katastrophal! (...) ist es nicht eine Schande, dass Sie selber noch immer außerordentlich Ihren Unterhalt am Penal erwerben müssen?? Dafür sind doch andere da!!!"
Honnef, den 28.5.1929: W. schickt Enders "den Rekord aller Plagiate! Drei Kerle schlachteten drei neue selbstständige Bücher aus mir!!!" Fronemann habe in der "Schönen Literatur" die auffälligsten Übereinstimmungen enthüllt. Der Schutzverband deutscher Schriftsteller aus Berlin werde neben Dichtern und Literarhistorikern ein Gutachten erstellen. W. bittet Enders um eine entsprechende Stellungnahme.
Honnef, den 18.1.1930: W. sendet Enders als Neujahrsgruß die neuaufgelegte Industriedichtung "Eiserne Welt". Er stecke in der Endphase eines "modernen Rheinromans".
aus: Horstmann, Christina: Die Literarhistorische Gesellschaft Bonn im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Dargestellt am Briefnachlaß von Carl Enders, Bonn, Bouvier, 1987
KlassifikationArchivalie - Korrespondenz
Anzahl/Art/Umfang15 maschinenschriftliche Briefe mit eigenhändiger Unterschrift ; 6 eigenhändige Postkarten mit Unterschrift ; 4 eigenhändige Briefe mit Unterschrift ; 6 adressierte Briefumschläge
AbsendeortMoers (u.a.)
Institution
Heine-Institut und Schumann-Haus
Abteilung
HH Schriftstellernachlässe