ObjektnummerFM.Film.21793
ZERKALO
Titel DeutschSpiegel, Der
Titel EnglischMirror, The
Sonstiger TitelSerkalo
Musik
Johann Sebastian Bach
(DE, 1685 - 1750)
Musik
Henry Purcell
(1659 - 1695)
Musik
Giovanni Battista Pergolesi
(1710 - 1736)
Datierung1975
Beschreibung"Der Spiegel" erweist sich schon in den ersten Minuten als Werk von so radikaler Subjektivität, wie es sie bisher in Filmen aus sozialistischen Ländern kaum gegeben hatte: aus Erinnerungspartikeln und Traumsequenzen, häufig zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselnd, wird die Zeitspanne von etwa 1930 bis heute betont autobiographisch aufgefächert, wobei die frühen Kindheitserlebnisse des Autors den Erfahrungen der Mutter, die im Mittelpunkt des Films steht, einerseits und jenen seiner ehemaligen Frau zum anderen kontrastierend eingefügt erscheinen. Einem Motto gleich eröffnet den Film die im Fernsehen beobachtete Heilung eines Stotterers mit Hilfe hypnoseähnlicher Konzentrationsübungen: Als könne allein die äußerung Besinnung auf sich selbst und die eigenen Kräfte einen Weg weisen sich verständlich zu artikulieren, überhaupt in die Kommunikation mit der Umwelt einzutreten. Dem Signal folgend taucht der Film ein in Vergangenheitsbilder, in warme, meist halbdunkle, seltsam diffus leuchtende Farben gehüllt, zeigen die Bilder eine junge Frau vor einer Datscha, umgeben von Wald und Wiesen, den Ehemann erwartend. Später werden Kinder sichtbar, dann, mitten im strömenden Regen, das Schreckbild einer lodernd abbrennenden Scheune. Ein harter Schnitt versetzt den Zuschauer in eine schwarz-weiß fotografierte Alptraumsequenz, die Trennung der Familie und Auflösung des Hauses düster-expressiv zum Aus druck bringt. Ein weiterer Schnitt versetzt in die Gegenwart: Der Autor bekommt von der Mutter die Auskunft, der Ausbruch des Feuers und der Abschied des Vaters hätten im Jahr 1935 Stattgefunden. Solchermaßen eingestimmt in das auf mehreren Zeit- und Bewußtseinsebenen sich ereignende, wird der Betrachter animiert, sich auf dieses sensible Protokoll einer in immer neuen Schüben unternommenen Expedition in die Vergangenheit einzulassen. Zunehmend gefesselt von den stets außerordentlich sinnlichen Bildern der Reise, beginnt er, sich weitere faszinierende Details gleichsam aus der Innenarchitektur eines Bewußtseins zu erschließen und unwillkürlich in eigene sich identifizierende Erinnerungsabläufe hineinzugleiten. Dies wird erleichtert durch stets schwarz-weiß gehaltene Passagen, in denen historische Zeitbezüge hergestellt und immer als erlitten referiert werden. Bilder aus dem Spanischen Bürgerkrieg, dem Zweiten Weltkrieg, von Toten, die in den Verschnürungen halb erschlaffter Riesenballons hängen, von der ersten Explosion einer Atombombe - bis hin zu einer Ansammlung von Mao-Gipsbüsten und den am Ussuri aufmarschierten, wild mit Mao-Bibeln fuchtelnden chinesischen Soldaten. Der gespenstischste Zeitbezug vollzieht sich indirekt und doch beängstigend hautnah: Verschreckt läuft da die Mutter, fürs Korrekturlesen in einer Druckerei verantwortlich, durch endlos viele Räume auf der Suche nach einem Text, in dem ein Wort - wie ihr über Nacht eingefallen ist - womöglich nicht stimmt. Charakterisiert ist damit die Stalin-Ära, in der es vorkam, daß wegen eines Drucktehlers die Verantwortlichen spurlos verschwanden. Tarkowskij hat vor Drehbeginn seinerzeit geäußert, es ginge in seinem Film um ein gewisses Schuldgefühl gegenüber der Mutter-"wir alle haben es" -"gleichfalls um die Kindheit, um jenes kindliche Sehnen, wie wir es alle kennen". Er selbst, sofern er sich mit der Perspektive des Erzählers identifizieren läßt, gerät im Verlauf des Films und seiner oft unerhört intensiven Sehnsuchtsbilder aus der ländlichen Kindheitsumgebung zunehmend in eine mythische Halbdistanz zum Geschehen von der aus er der Vergangenheit etwas näher, die gegenwart als vielleicht doch nicht so festgelegte Zukunft empfinden kann. Sein aus vorangegangernen Filmen vertrautes Motiv der Besinnung auf die Kräfte der Natur erscheint hier vielfach gebrochen in den Mitgliedern der Familie, deren Leitfiguren, seine Frau und seine Mutter, von derselben Schauspielerin verkörpert werden und damit im Bewußsein des Erzälers sich überlagernde Identitäsbereiche charakterisieren. Das Element des Autobiographischen verstärkend, hat Tarkowskij die Familie direkt einbezogen: Mehrfach werden in magisch-kommentierend wirkender Art lyrische Gedichte seines Vaters Arsenj Tarkowskij aus dem Off rezitiert, seine Mutter tritt als alte Frau in Erscheinung und er selbst verkörpert den militärischen Ausbilder einiger trauriger kleiner Jungen. Innerhalb der reichen, komplexen Erzählstruktur deren zahlreiche enigmatische Details zur Entschlüsselung reizen, markieren die düsteren Gefährdungs- und Bedrohungssignale auf der einen und die schmerzhaft-innigen, unerreichbar fern wirkenden Kinderbilder andererseits Extrempositionen der Lebenserfahrung. Tarkowskijs radikale Darstellung des verlorenen Einklangs, sein Dialog mit der Erinnerung gewinnt am Ende objektivierende Qualität, weil er Urerfahrungen nachvollziehbar macht. Und auch dies macht den Zuschauer betroffen und nachdenklich: daß der Verlauf der Geschichte in diesem Kosmos nur Spuren von Leiden und Schrecken hinterläßt. Nichts heroisches kein Giücksmoment bleibt da auch nur als Nebenprodukt von Historie. Als charakteristische Auskunft über die Befindlichkeit des Künstlers bleibt am Ende der Satz im Gedächtnis haften, daß ihn nur im Traum von der Jugend das unbändige Glücksgefühl überkomme, "daß alles noch vor mir liegt, daß alles noch möglich ist". -Informationen: s. Bibliothek: Filmmappe SERKALO Personenmappe: Tarkowskij, Andrej(Quelle: Filmmuseum Düsseldorf)
KlassifikationTon/bewegtes Bild - Werk
FilmgenreDrama (Film)
FilmgenreBiografischer Film
Institution
Filmmuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf
Abteilung
FM Filme