ObjektnummerHHI.2016.G.1001.663
Korrespondenz von Gabriele Reuter an Heinrich Steinitzer
Absender*in
Gabriele Reuter
(1859-1941)
Empfänger*in
Heinrich Steinitzer
(1869 - 1947)
Datierung1917
BeschreibungTranskription:Neubukow d. 27.9.17.
Meklenburg.
vom 8 ten Okt an
wieder Ludwig=
kirchstr.
Liebster Freund!
Mein Roman ist nun bis auf ein
Nachwort und die nötige Durchar-
beitung vollendet — Gott sei Dank.
Ich will ihn dann erst in Berlin
noch einmal prüfend betrachten,
hoffentlich ist er nicht zu flau!
Der „Idealist“ hat die 5—10 Auflage,
das ist doch merkwürdig für ein 6 M.
Buch! — Ja und ehe ich mich nun
in der nächsten Woche ins Packen
und Abreisen und Neueinrichten
begebe, möchte ich Ihnen, mein
guter, treuer Freund noch ein
bischen was vorplaudern!
Schade, daß wirs nicht mündlich
können und daß auch keine
Aussicht dazu ist denn mit den
Moneten wird’s wohl bei uns
beiden knapp sein! Wird man
überhaupt mal wieder vergnügte
Freundesrundreisen machen?
Sie stecken gewiß wieder in Hilfs-
dienst und anderen Pflichten und
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die Literatur wird dabei arg zu kurz
kommen! Was macht Baltasar?
Waren Sie noch ein wenig in
Wasserburg und bleibt Frau Otto
auch im Winter dort? — Ich habe
trotz aller Schwierigkeiten doch
die Absicht vorläufig meinen Haus-
halt wieder aufzunehmen. Geht’s
dann gar zu schlecht ists besser
man geht im frühen Frühling
irgendwohin aufs Land. Ein
Mädchen habe ich fürs Erste erwischt.
Lucia, die hier sehr wirtschaftlich
geworden ist, und brav Eier
für mich gehamstert hat, be-
gleitet mich vorläufig. Später
geht sie dann nach Schwerin zur
Mutter einer Freundin. Billiger
wäre es, sie bliebe hier, aber ich
fürchte das sehr rauhe Klima und
das kalte Pfarrhaus für sie, sie
ist doch im Winter recht anfällig.
Auch hatte sie nicht genug Zeit
für ihr Klavierspiel, sie denkt
doch wirklich daran sich darin zur
Lehrerin auszubilden. Gott
sei Dank hat ihr Vater ihre Pens.
für vier Monate geschickt. —
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Das Kind war in diesem etwas
melancholischen u einsamen
Sommer mir eine rechte Er-
frischung, immer guter Laune,
lieb und zutraulich. Neulich
zeigte sich plötzlich Gelegenheit
für einen Reiseanschluß nach
drüben — bei näherer Betrachtung
indessen ergaben sich so viel
Gefahren u. Schwierigkeiten,
ich hätte ein paar tausend Mark
von meinen wenigen Erspar-
nissen opfern müssen — da
konnte ich mich nicht entschließen,
u habe ihr gar nichts gesagt.
Der geliebte Bruder Donovan
hat sich verheiratet mit einer
Dame, die den Namen Gumer-
sinda führt, das ist natürlich
für Lucia eine große Enttäuschung,
wenn sie’s auch nicht wahr
haben will —
Lili schreibt andauernd sehr
befriedigt. Ihr Malerfreund
hat seine beiden Urlaube
in Schreiberhau zugebracht
— nicht nur Lilis wegen —
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aber sie waren doch bei Frau
Hauptmann viel zusammen,
haben auch mit anderen
Freunden einen längeren
Ausflug zusammen gemacht
— kurz — ich bin einiger-
maßen gespannt, wie sich
die Sache ausgewachsen haben
wird! Jedenfalls haben
die beiden bei herrlichem Wetter
sehr fröhliche Tage genossen
— die können ihnen wenig-
stens nicht genommen werden.
Wenn die Aussichten, die sich ihm
für die Zukunft zu bieten
scheinen, sich verwirklichen
wäre ja eine Heirat nicht
aus dem Bereich der Mög-
lichkeiten. Daß der junge
Mann sich zu mir so außer-
ordentlich herzlich und freund-
schaftlich gestellt hat, nimmt
mich natürlich auch für ihn
ein, übrigens halte ich ihn
als Persönlichkeit für be-
deutender denn als Talent.
Er imponiert Lili, und das
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wäre doch das erste Erforderniß
für eine glückliche Ehe bei
meiner lieben Tochter.
Daß er zu den nächsten Freun-
den von Gerh. Hauptmann
gehört imponiert ihr nicht
minder. — Der Winter kann
ja also ganz bewegt werden.
Hoffentlich halten meine Ner-
ven stand — sie waren doch
arg herunter und ich habe
Wochen gebraucht, mich nur
einigermaßen zu erholen.
Dabei hatte ich hier wirklich
vorzügliche Verpflegung,
tägl. Fleisch, drei Eier, vor-
zügl. Kartoffeln etc.
Aber trotz dieser Annehmlich-
keiten freue ich mich jetzt
auf Menschen meiner Art,
die Meklenburger sind mir
doch eigentlich recht unsym-
pathisch!
Wie geht es Ihrer Gesundheit,
lieber Steinitzer?
Denken Sie, dem armen Marcus
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der lange im Lazarett recht krank
lag, sind in der Nacht ehe er
zu längerem Urlaub nach
Hause kam, alle seine Kleider
gestohlen — die ich mit so viel
Mühe u Sorgfalt vor den
Motten geschützt habe! Jetzt
ein ganz unersetzl. Verlust.
Wäsche, Stiefel etc fand er sorg-
fältig in seine Koffer verpackt
zur ferneren Abholung bereit-
gestellt! Als er die Polizei
aufforderte, Schutzleute zu
schicken, um die Diebe dabei
abzufangen, lehnte diese ab
und meinte: Er möge sie doch
selbst niederknallen er sei
das ja jetzt gewohnt!—
Eine herrliche Antwort!!
Wahrscheinlich war’s ja einer
seiner Freunde — aber er
tut mir trotzdem schrecklich
leid! Die Stehlerei ist grauenhaft
jetzt in Berlin!
Und wo bleibt der Friede—?
Unterhandl. waren sicher in
Gange, scheinen aber wieder
resultatlos verlaufen
Randbemerkung von hinten nach vorne fortlaufend:
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Hier toben die Leute für Annexionen und
großen Kriegsentschädigungen, als ob alle
[Seite 5:]
diese Dinge einzig von Deutschland zu bestimmen
wären, und es nur an der Bosheit unsres
[Seite 4:]
Reichstages läge, der dem deutschen Volke alle
diese guten Dinge: Belgien, Frankreichs Erzlager
[Seite 3:]
Kurland und viele Milliarden von England
einfach nicht gönnen wollte!
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Aber das ist ein zu weites Feld....
[Seite 1:]
Seien Sie herzlichst gegrüßt und lassen Sie
bald einmal von sich hören! Ihre alte Freundin
Gabriele Reuter.
KlassifikationArchivalie - Korrespondenz
Anzahl/Art/Umfang1 eigenhändiger Brief mit Unterschrift
Institution
Heine-Institut und Schumann-Haus
Abteilung
HH Schriftstellernachlässe